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Die Rolle der Familien beim Erlernen der Sprachen in einer mehrsprachigen Umgebung: der Fall Südtirol.

Der Gebrauch der Sprachen in Südtirol

In Südtirol, Provinz in Norditalien, verwenden 2/3 der Bevölkerung die deutsche Sprache; das verbleibende Drittel verwendet die italienische Sprache.
Südtirols hat ca. 430.000 Einwohner.


Die Schulordnung Südtirols

In Südtirol gibt es drei Schultypen: 

· die italienischen Schulen für Schüler italienischer Muttersprache;
· die deutschen Schulen für Schüler deutscher Muttersprache;
· die ladinischen Schulen für die ladinische MInderheit 
(insgesamt ca. 30.000 Einwohner).

Die drei Schultypen mit jeweils eigener Verwaltung sind voneinander strikt getrennt.

In den deutschen Schulen werden die Unterrichtsfächer in deutscher Sprache gestaltet, von Lehrpersonen deutscher Muttersprache.
In den italienischen Schulen werden die Unterrichtsfächer in italienischer Sprache gestaltet, von Lehrpersonen italienischer Muttersprache.
In den ladinischen Schulen wird der Unterricht paritätisch in deutscher und italienischer Sprache gestaltet ( d.h. 50 % deutsch und 50 % italienisch ), hingegen niemals auf ladinisch, der Muttersprache der Schüler.

Die zweite Sprache ( d.h. Italienisch in den deutschen Schulen und Deutsch in den italienischen Schulen) wird durchschnittlich für sechs Wochenstuden als eigenes Unterrichtsfach gelehrt. In den offiziellen Studienplänen ist der Gebrauch der zweiten Sprache in den Unterrichtsfächern nicht vorgesehen. Die zweite Sprache muss in Südtirol als getrenntes Unterrichtsfach gelehrt werden.

Das Autonomiestatut von Trentino-Südtirol aus dem Jahr 1972 scheint die juridische Rechtfertigung für dieses Unterrichtsmodell zu geben, das auf dem Gedanken der Trennung zwischen den Schulen nach der in der Familie des Schülers gesprochenen Sprache aufbaut. 

Artikel 19 des Autonomiestatutes, dem der Rang eines Verfassungsgesetzes zukommt, sieht folgendes vor (Übersetzun aus dem Italienischen): 
"In der Provinz Bozen wird der Unterricht in den Kindergärten, Volks- und Mittelschulen in der italienischen oder deutschen Muttersprache der Schüler von Lehrpersonen erteilt, deren Muttersprache dem Unterrichtsfach entspricht.".

Wie ist es möglich, dass unter solchen gesetzlichen Voraussetzungen die Eltern von den Behörden verlangen, dass der Sprachunterricht nicht mehr einfach als Unterrichtsfach angesehen werden soll, sondern dass hingegen alle Sprachen der Provinz für den Unterricht in den verschiedenen Disziplinen verwendet werden? 

Diese Forderung, die von den Familien in Südtirol hartnäckig ungehört vorgebracht wird, beruht auf der Überzeugung, dass die Kenntnis der Sprachen nicht nur Kenntnis der Grammatik und des literarischen Gebrauches derselben ist, sondern vor allem die Fähigkeit, damit etwas auszudrücken. Die Eltern nehmen den Standpunkt ein, dass die Sprachen in der Schule nur gelernt werden können, wenn sie für das Lernen in den einzelnen Unterrichtsfächern verwendet werden: 

Das Studium der Grammatik führt nicht zum Erwerb einer neuen Sprache.
Die Grammatik hat hingegen eine andere Funktion: sie gestattet das vertiefende Studium der schon erworbenen Sprachkenntnisse, stärkt das Bewusstsein zum korrekten sprachlichen Ausdruck, ermöglicht die Kontrolle der Korrektheit des Sprachgebrauchs. 

Die Sprachen werden über deren Gebrauch erworben und nicht über die Grammatik. Das Problem besteht darin, wie man den Behörden und Politikern, die in Südtirol auf Gesetze verweisen, die ein Vierteljahrhundert zurückliegen, verständlich machen kann, dass eine Sprache nur erlernt wird, wenn sie als Unterrichtsmittel, als Mittel der Kommunikation verwendet wird.

Das ist die Aufgabe, die die Eltern von Südtirol auf sich genommen haben.


Die Immersionsprogramme in Südtirol

Die Immersionsprogramme in Südtirol sind alles Programme der Teilimmersion.
Die Eltern unterstützen sie aufgrund der Überzeugung, dass die Sprachen durch deren Gebrauch erlernt werden.

Mit den Immersionsprogrammen soll innerhalb der Schulen eine Umgebung geschaffen werden, in der mehrere Sprachen verwendet werden, vor allem jene, die in der sozialen Umgebung der Schüler nicht genutzt werden.

Das Immersionprogramm in Südtirol berücksichtigt daher aufmerksam die sozio-linguistischen Bedingungen des Territoriums.


Grund- und Sekundärschulen (Grad 1-8)


Die Unterrichtsversuche zur "Sprachimmersion" sind in Bozen aus der Überzeugung heraus entstanden, dass der Erwerb einer Fremdsprache viel effizienter ist, wenn die Sprache nicht reiner Unterrichtsgegenstand bleibt, sondern zur Vermittlung von Inhalten bestimmter Fächer verwendet wird. Wenn z.B. Geografie und Geschichte in einer anderen Sprache vermittelt werden, führt dies bei den Schülern parallel zum Erwerb des Fachwissens auch zum Erwerb der verwendeten neuen Sprache.

Die Sprachimmersion ist in Kanada in den 60´er Jahren entstanden, auf Betreiben einer Gruppe von Eltern von Quebec.
In Kanada wurde ein Modell der "Vollimmersion" entwickelt, das heute auch in Europa ( in Katalonien, der baskischen Region, in Finnland) wirksam eingesetzt wird: die Kinder beginnen schon im Alter von vier Jahren im Kindergarten mit Tätigkeiten in einer ihnen unbekannten Sprache. Schrittweise wird im Lauf der Jahre die Muttersprache in die schulische Aktivität eingebaut und erreicht gegen Ende der Pflichtschule einen Anteil von 50 %. 
Bei Schulende sind die Kinder völlig zweisprachig.


Aber es gibt auch andere Schulmodelle zur Immersion, die hinsichtlich des Alters der Schüler und des Anteils des Unterrichts in der Vehikulärsprache andere Kriterien anwenden. 

In Südtirol werden Versuche mit einem Modell der Teilimmersion durchgeführt, bei dem nur einige Unterrichtsfächer einbezogen werden und der Beginn spät angesetzt ist (Schüler von 11 Jahren ). Andere Versuche der Teilimmersion beginnen im Alter von sechs Jahren.

Kürzlich begannen auch Aktivitäten in der zweiten Sprache mit Kindern im Alter von drei Jahren, für ca. zwei Stunden täglich.

Das erste genehmigte Projekt zur Sprachimmersion in Südtirol geht auf das Jahr 1993 zurück und betraf zwei Mitterschulklassen der italienischen Mittelschule "Archimede" von Bozen. Der Versuch bestand darin, dem Deutschlehrer auch den Geografieunterricht zu übertragen.

Der Erfolge waren verlockend. Schon in den ersten Monaten zeigten die Kinder gegenüber der deutschen Sprache, die nicht ihre Muttersprache war, ein geändertes Verhalten; die Sprache wurde mit Interesse und Sympathie gesprochen und betrachtet.


Kindergarten

In den italienischen Kindergärten Südtirols werden die Aktivitäten der zweiten Sprache direkt von den Eltern organisiert.

Die Tätigkeit betrifft maximal fünf Wochenstunden..

Mit diesen Initiativen widersprechen die Eltern der in Südtirol, aber auch in anderen europäischen Ländern, vorherrschenden Idee, dass eine zweite, dritte oder vierte Sprache erst dann gelernt werden darf, wenn das Kind die Kenntnis seiner ersten Sprache konsolidiert hat. 

Die Idee der Eltern von Südtirol ist hingegen, dass das Kind seine eigene Persönlichkeit und Individualität über eine mehrsprachige Erziehung voll entfalten kann: eine einsprachige Erziehung ist nicht als natürliche Voraussetzung der Entwicklung der Person anzusehen. Viele Erfahrungen führen zur Schlussfolgerung, dass die frühzeitige Mehrsprachigkeit eine natürliche Gegebenheit für den Menschen ist: der Mensch spricht von klein auf auf natürliche Weise mehrere Sprachen. Eine einzige Sprache gegenüber den anderen zu privilegieren heisst dem Kind Gewalt anzutun.

Die privaten Aktivitäten zur zweiten Sprache in den Kindergärten stellen die Haupttätigkeit der Elternvereinigung von Bozen dar. 


Die Rolle der Eltern beim Erwerb einer zweiten Sprache

Die Eltern haben eine aktive Rolle bei der Organisation der Aktivitäten zur zweiten Sprache in den Kindergärten. Die Eltern beschäftigen die Lehrkräfte und organisieren unmittelbar deren Ausbildung.


Die Rolle der Eltern bei der Motivierung der Kinder

Die Eltern widmen den Aspekten der Motivation der Kinder zur Verwendung der Sprachen grosse Aufmerksamkeit. Die Kinder müssen dem natürlichen Umgang mit den Sprachen Wertschätzung entgegenbringen. Die Eltern trachten danach, den Kindern keine widersprechende Signale zu übermitteln und in konkreten Situation bei der Verwendung der Sprachen beispielgebend zu sein. Die Eltern verwenden gegenüber ihren Kindern immer die eigene Sprache, strengen sich aber nach Möglichkeit an, die zweite Sprache im alltäglichen Leben einzusetzen. 
Zu den Tätigkeiten der Vereinigung "Eltern für Zweisprachigkeit" zählt auch die Bildungstätigkeit gegenüber den Eltern, für ein korrektes Herangehen an die zweite Sprache, das der Motivation der Kinder förderlich ist.


Die propositive Rolle

Die Elternvereinigung hat eine aktive Rolle bei den Vorschlägen, die den Schulbehörden zur Ausweitung des Sprachunterrichts unterbreitet werden.
Bisher wurden alle Versuche zur Sprachimmersion unter direkter Beteiligung der Eltern ausgearbeitet. 

Für die Genehmigung der neuen Projekte habe die Eltern kontinuierlichen Druck auf die Verwalter und Politiker ausgeübt, auch unter Nutzung der Massenmedien in Unterstützung der Forderungen. Ohne diese direkte Aktion der Eltern wäre keinerlei Innovation genehmigt worden.


Unterstützung der schulischen Aktivitäten

Die Eltern machen auch Vorschläge zu Tätigkeiten, die ausserhalb der Schulstunden durchgeführt werden können und den Gebrauch mehrerer Sprachen vorsehen.

So wurde die Veranstaltung eines Filmforums in der zweiten Sprache vorgeschlagen.
Weiters wurde die Nutzung des Internet zur Herstellung von Kontakten mit anderen deutschsprachigen Schülern vorgeschlagen, mit denen unter Anleitung der jeweiligen Lehrer gemeinsame Forschunsprojekte durchgeführt werden sollten.

Die Antwort aus den Schulen auf solche Vorschläge war immer sehr schwach. Die Lehrer sind mit dem Internet allgemein wenig vertraut und wollen sich über die vertraglichen Arbeitsstunden nicht weiters an die Unterrichtstätigkeit binden.

Die Vorschläge der Eltern treffen somit auf das Hindernis einer gewissen Rückständigkeit der Lehrkräfte.


Das Verhältnis Schule Familie

Die Beziehung zwischen Familie und Schule wird in Italien von den Lehrkräften nicht genügend berücksichtigt. Die vorherrschende Auffassung ist, dass die Eltern sich in die von den Lehrkräftten angewandte Didaktik nicht allzusehr einmischen sollen; die Lehrer beanspruchen die alleinige Autorität hinsichtlich der anzuwendenden didaktischen Strategien und die alleinige Kompetenz bei der Bewertung der Wirksamkeit des Bildungswesens insgesamt. Die Elternvereinigung will hingegen eine Form der Bewertungskontrolle zu den erzieherischen Entscheidungen der Lehrkräfte ausüben. Bezüglich des Zweitpsrachunterrichts gehen die Eltern von folgender Überlegung aus: wenn eine Lehrkraft in einem Fach, z.B. Mathematik, bei 70 % der Schüler einen ungenügenden Erfolg zu verzeichnen hat, dann wäre sie von sich aus gezwungen, eine andere Unterrichtsmethode zu suchen. 

Beim Sprachunterricht ist es nun so, dass sogar 95 % der Schüler absolut ungenügende Erfolge verzeichnen lassen. Dies bedeutet, dass der Sprachunterricht tiefgreifend verändert werden muss. Das katastophale Ergebnis verlangt nach einer radikalen Veränderung des Sprachunterrichts in der Schule. Die Sprachimmersion ist eine der Alternativen, die von den Eltern vorgeschlagen wird. Es sollte eigentlich natürlich sein, dass bei den Lehrern unmittelbar Verständnis für die Notwendigkeit einer radikalen Änderung bei der Sprachdidaktik besteht. Aber nicht immer ist es so.

Die politischen und schulischen Widerstände

Die politischen Widerstände gegen die Einführung der Sprachimmersion im Unterricht sind unterschiedlichen Gesichtspunkten zuzuschreiben:

1) Widerstand der Politiker:
die Politiker Südtirols fürchten, dass die Sprachimmersion zur Zerstörung des Systems der nach Sprachgruppen getrennten Schulen und letztlich zur kulturellen Assimilation zwischen Deutschen und Italienern führen könnte. 

2) Widerstände aus dem Schulbereich:
die einsprachigen Lehrer fürchten sich davor, dass der Unterricht ihrer Fächer mehrsprachigen Lehrern übertragen werden könnte.

Subjekte des Wandels

Die Träger des Wandels sind die Eltern. Die Familien sind an der Zweisprachigkeit ihrer Kinder interessiert. Die Eltern geben den ideologischen Begründungen der Politiker, die ihre Rolle auf die sprachliche Trennung der Bürger aufbauen, kein Gehör und folgen auch den Argumenten der Lehrer nicht, die sich auf die Verteidigung ihres Arbeitsplatzes auf Kosten der Zukunftschancen ihrer Schüler beschränken.

Die Eltern hören auf niemanden, sondern verteidigen die Interessen ihrer Kinder. Aus diesem Grund entstand in Bozen die Vereinigung der Eltern für die Zweisprachigkeit "Associazione Genitori per il Bilinguismo".

Die Schritte zur Veränderung

Obwohl die Eltern im Jahr 1993 begonnen haben, von den Schulen die Sprachimmersion zu fordern, fehlt bis heute noch eine substantielle Einführung von Immersionsschulen in Südtirol. Für die Mehrheitspolitiker in Südtirol ist die Sprachimmersion immer noch eine Gefahr für die Sprachgruppen der Minderheiten.

Für die Poltiker in Südtirol sind die Grundwerte jene der Verteidigung der ethnischen Eigenarten der verschiedenen Sprachgruppen: die Immersionsschulen werden von ihnen generell als Einrichtungen missverstanden, die die ethnischen Eigenarten der Sprachgruppen verwischen.

Diese engstirnige Auffassung von den Beziehunen zwischen den Sprachgruppen, wonach auch die Kenntnis der Sprache und Kultur der anderen Sprachgruppen eine Gefahr für das Fortbestehen der Besonderheiten der Minderheiten darstellt, verbindet sich mit einer entsprechenden Abschottung gegenüber Innovationen in Europa.

Die Angst vor den neuen Freiheiten, die in Europa vorgesehen sind, findet auch im Regierungsprogramm der Autonomen Provinz Bozen ihren Niederschlag. Darin liest man:
"Die Autonomie der Provinz Bozen und deren dynamische Fortentwicklung darf von der europäischen Entwicklung nicht beeinträchtigt werden. Die bisher erreichten Freiheits- und Autonomiebereiche müssen beibehalten und erweitert werden. Europa muss verstärktes Verständnis für die Minderheiten zeigen. "

Die zweisprachigen Schulen sind eine konkrete Ressource für den Aufbau Europas. 
Die Eltern von Bozen hoffen, dass die Verteidigung der Provinz Bozen gegenüber Europa nicht die Ablehnung der Immersion seitens der Schulen beinhaltet.